Alijah mitten in Kriegsgefahr – Teil 1
Christen an der Seite Israels bringt ukrainische Juden zur Ausreise an die Flughäfen. Waren es bis auf weiteres die letzten regulären Flüge aus dem Land?
„Wir müssen morgen früh um 4.00 Uhr zum Flughafen aufbrechen, also gibt es um 3.30 Uhr Frühstück“, ruft Natalia ihren Gästen zu, die sich zu einer frühen Nachtruhe zurückziehen. Natalia leitet das Gästehaus „Shelter“ (Zufluchtsort) des ukrainischen Partnerzweigs von Christen an der Seite Israels. Seit Beginn des bewaffneten Konflikts in der Ostukraine vor genau acht Jahren haben mehr als 8000 ukrainische Juden hier Station gemacht – entweder auf dem Weg zur israelischen Botschaft in Kiew, um ein Einreisevisum zu beantragen, oder bereits mit gepackten Koffern auf dem Weg zum Flughafen. Mitten in einer dramatisch angespannten Situation, die wegen des russischen Truppenaufmarsches entlang der ukrainischen Grenze im Norden und Osten jeden Moment bersten kann, tut Natalia mit ihrem Team das, wozu sie sich seit drei Jahrzehnten berufen fühlt: den ukrainischen Juden bei der Rückkehr aus der Diaspora in ihre historische Heimat Israel zu helfen.
„So viele Leute wie heute habe ich noch nie im Gottesdienst gesehen“, sagt Natalia. „Es war brechend voll. Wir haben gebetet, was das Zeug hält!“ Viele ihrer Helfer kommen aus ihrer Gemeinde, die sich am Ostufer des Dnjepr in Kiew versammelt und ihre Arbeit intensiv im Gebet unterstützt.
Ilia (4) und Kiril (5) toben noch einmal begeistert die Treppe im Shelter rauf und runter und freuen sich, dass auf jeder Treppenstufe ein Teddybär sitzt. Kiril muss „Tante Natalia“ noch schnell seine neue Zahnlücke zeigen, dann heißt es wirklich „ab ins Bett“. Die nächste Nacht wird er mit seinem kleinen Bruder schon drei Flugstunden südlich in Israel schlafen.
„Wir gehen hauptsächlich wegen der Kinder. Wir wollen, dass sie eine Zukunft haben“, sagt Natascha, die mit ihrem Mann Taras und den beiden Buben wenige Stunden zuvor in ihrer Heimatstadt Lwow von unserem Fahrer Kolja abgeholt wurde. „Hier sehen wir keine Perspektive, es gibt keine Stabilität, um sich etwas aufzubauen.“ Fünf Jahre haben sie sich auf ihre Alijah, die Einwanderung nach Israel, vorbereitet. Inzwischen hat Natascha schon eine ganze Reihe Verwandte in Israel. Ihr Vater lebt in Haifa, ihr Bruder in Kirjat Motzkin. Von ihrem jüdischen Erbe weiß sie wenig.
„Ich habe Opa und Oma nie gekannt. Papa war erst 5, als sein Vater gestorben ist. Opa war Schuster; das ist alles, was ich über ihn weiß. Oma ist auch früh gestorben. Sie hat wohl auf dem Basar gearbeitet. Keine Ahnung, wie sie überlebt haben – vielleicht durch Flucht.“
Jetzt ist sie doch ein wenig aufgeregt vor der großen Reise. Doch sie ist zuversichtlich: „Dort in Israel wird es auf jeden Fall besser sein.“
Auch Julia stammt aus Lwow und hat ihre Taschen gepackt. Ihr Sohn – und inzwischen auch die Schwiegertochter – erwarten sie in Ramat Gan. „Er hat schon vor etlichen Jahren Alijah gemacht“, sagt Julia. „Er ist über das Masa-Programm der Jewish Agency nach Israel gegangen (ein Aufbaustudiengang für junge Erwachsene). Das war meine Idee. Er arbeitet jetzt als Architekt.
Damals wollte ich noch nicht weg. Aber jetzt bin ich Witwe. Die letzten Jahre konnten wir uns wegen Corona nicht sehen, und jetzt sind die Spannungen hier in der Ukraine unerträglich. Ich möchte einfach bei meiner Familie sein und in Zukunft für meine Enkel da sein. Ich freue mich auf Israel!“
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Christen an der Seite Israels hilft ukrainischen Juden seit 20 Jahren mit einem ortsansässigen Team unter der Leitung des Belgiers Koen Carlier, den großen Schritt Richtung Israel zu tun. Für die meisten ist das ein jahrelanger Prozess. Oft fängt er mit einer Verteilaktion von Lebensmittelpaketen in einer jüdischen Gemeinde an, die immer auch eine Gelegenheit zu einer kurzen Ansprache gibt. Oder aber mit einem Besuch von Mitarbeitern bei einer bedürftigen Babuschka – mit einem Lebensmittelpaket, dem eine Broschüre über die Hilfsangebote von Christen an der Seite Israels beiliegt. Darin wird auch auf die biblischen Verheißungen über die Rückkehr des jüdischen Volkes speziell aus dem „Land des Nordens“ in das heutige Israel eingegangen. Und auch wenn die Reaktion zunächst eher abweisend ist – für den Fall der Fälle stehen die Telefonnummern der Mitarbeiter im Heft.
„Manchmal bekomme ich dann einen Anruf: ‚Erinnern Sie sich, dass Sie uns vor x Jahren besucht und über Alijah gesprochen haben? Jetzt bin ich soweit‘“, berichtet Koen aus seinem Alltag in der Ukraine. „Für die Älteren ist es natürlich viel schwerer, noch einmal neu anzufangen. Das funktioniert eigentlich nur, wenn die erwachsenen Kinder mitgehen oder in Israel schon auf sie warten. Manche gehen aus gesundheitlichen Gründen, weil sie sich die ärztliche Behandlung hier nicht mehr leisten könnten; man muss ja alles privat bezahlen. Manche haben Verwandte gepflegt und sind jetzt unabhängig. Im Moment gehen aber auch viele jüngere Familien, die in der Ukraine keine Zukunft für ihre Kinder sehen. Egal, was der Anlass ist – den eigentlichen Grund für ihre Auswanderung finden wir in der Bibel: Gott ruft Sein Volk nach Hause. Und wir, die Nichtjuden, dürfen dabei helfen.“
In enger Zusammenarbeit mit der Jewish Agency, der israelischen Einwanderungsbehörde, die in allen größeren Städten Niederlassungen hat, führt Christen an der Seite Israels – Ukraine regelmäßig Informationsmessen durch, je nach Größe mitunter mit einer ganzen Reihe israelischer Ansprechpartner, bei denen jede Frage gestellt werden kann – vom Kindergartenplatz bis zum Jobangebot.
Dann folgen die konkreten Schritte zu den Behörden. Einwandern darf, wer mindestens einen jüdischen Großelternteil nachweisen kann. Das allein bedeutet mitunter schon einen umfangreichen Rechercheaufwand. Dann kommt das Erstgespräch mit dem israelischen Konsul, die Antragstellung, Fahrten nach Kiew zur Botschaft, die von Christen an der Seite Israels kostenlos angeboten werden. Auch bei der Finanzierung der Papiere gibt es Unterstützung.
Wenn der große Tag dann gekommen ist und die Flugtickets von der Jewish Agency gebucht sind, stehen die Fahrer von Christen an der Seite Israels bereit, um die Reisenden von der Haustür zum Flughafen zu bringen, oft noch mit einem Zwischenstopp im Gästehaus bei Kiew. Unterstützt wird Christen an der Seite Israels bei den Fahrten auch von Partnerorganisationen wie „Esra“ und „Eben Ezer“.
Nach einem guten Abschiedsessen im gastfreundlichen „Shelter“ und der Fahrt zum Flughafen gibt es noch ein Abschiedsfoto, dann werden die „Olim“, wie die Einwanderer auf Hebräisch heißen, in die Obhut der Jewish Agency übergeben, und Koen hängt sich ans Telefon, um die nächsten Fahrten zu koordinieren.
„Manchmal ist es so stressig, heute früh zum Beispiel“, teilt Natalia ihr Herz. „Alle wollen gleichzeitig etwas von dir. Du weißt nicht, ob du heute Abend wieder zu Hause bist oder für eine Nacht packen sollst oder doch für länger. Man kann nicht planen wie zu Friedenszeiten. Da habe ich angefangen zu beten, und dann bin ich wieder ruhig geworden. Manchmal setze ich mich zwischendurch eine Viertelstunde hin, mache die Augen zu und rede mit meinem himmlischen Vater. Dann bekomme ich neue Kraft.“
Bitte UNTERSTÜTZEN Sie unseren Kriseneinsatz für die ukrainische Juden durch Ihre Spende:
- Lebensmittelpakete im Wert von je 10 € werden vor Ort gepackt und an die jüdischen Gemeinden ausgeliefert. Das Spendenstichwort dafür ist „Speisungsprojekte“.
- Das Unterstützungspaket zur Einwanderung nach Israel für eine Person (Hilfe mit Papieren, Fahrten zum Konsulat und zum Flughafen) kostet 135 €. Das Spendenstichwort dafür ist „Alijah“.
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Empfänger: „Christen an der Seite Israels – Schweiz“
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