• Die am 19. Januar 2025 von der Hamas freigelassenen Geiseln Doron Steinbrecher, Emily Damari und Romi Gonen (v. l. n. r.) wiedervereint mit ihren Müttern. Foto: IDF (CSi Deutschland)
Aktuelles

Hamas orchestriert Israels Geiseldrama

editor - 27. Januar 2025

471 Tage nach dem 7. Oktober 2023 sind drei israelische Geiseln im Rahmen eines Abkommens zwischen Israel und der Hamas freigekommen. Zeitpunkt und Inhalt des Deals sorgen für Diskussionen. Eine kommentierende Analyse vom Leiter Politik und Gesellschaft bei Christen an der Seite Israels (CSI), Josias Terschüren.

Wieder einmal Listen. Listen begleiten das jüdische Volk seit Jahrhunderten. Mal bedeuten sie den sicheren Tod, mal die Rettung und das Leben. Je nachdem wer sie führt und zu welchem Zweck. Die Listen mit Namen von Geiseln, um die es diesmal geht, wurden von der Hamas erstellt, um die Freilassung Tausender Terroristen und den Rückzug Israels aus teuer gesicherten Gebieten in Gaza zu erpressen. Jedes Detail auf den Listen hatte Israel mit Entgegenkommen gegenüber den Terroristen und ihren Forderungen zu bezahlen. Namen, Anzahl und Zustand der Geiseln. Bis zuletzt weigerte sich die Hamas, Israel mitzuteilen, wen sie wann freilassen würde, und ob die Freiheit einer lebenden Person oder einer Leiche gälte.

Schwer erträgliche Inszenierung

Selbst der Prozess der Geiselübergabe wird von der Hamas choreografiert und bis ins Letzte ausgekostet und medial ausgeschlachtet. Es geht um die Macht der Bilder und deren Wirkung unter den Palästinensern, in Israel und in der Welt. Gezeigt werden schwerbewaffnete, maskierte Hamas-Terroristen, die die Geiseln selbst auf ihrem Weg in die Freiheit noch ein letztes Mal bedrängen, ängstigen, verachten, entmenschlichen.

Pünktlich zum großen PR-Spektakel haben sie ihre sorgsam versteckten Uniformen wieder hervorgeholt. Zuvor hatten sie monatelang feige und völkerrechtswidrig in Zivil und eingebettet in die Zivilbevölkerung gekämpft. Teils stehen sie im Verlauf der Übergabe sogar noch auf den Dächern der Fahrzeuge des Roten Kreuzes. Die weißen Pickups mit dem roten Kreuz hätte man lieber häufiger im Einsatz für die Geiseln in Gaza gesehen und nicht erst zum finalen Moment ihrer Freilassung. Gekümmert hat sich das Rote Kreuz vorher nicht um sie.

Dies ist ein humanitäres Versagen der internationalen Gemeinschaft, ein absoluter Schandfleck. Nicht zum ersten Mal in der Geschichte. Der ganze Akt ist Psychoterror der übelsten Sorte, den die Hamas gezielt gegen die schwer traumatisierten Geiseln und ihr ganzes Volk einsetzt. Dabei werden die Geiseln gönnerhaft frisch gekleidet in leuchtenden Farben in Szene gesetzt, erhalten Entlassungszertifikate über ihre Gefangenschaft und Geschenketüten, während die Masse sie bedrängt und mit ihrem Hass überzieht. Ein abstrus-groteskes Szenario.

Warum jetzt?

Dass das Geisel-Abkommen jetzt zustande kommt, ist vor allem dem Druck der künftigen Trump-Administration geschuldet. Kritiker werfen dem designierten US-Präsidenten vor (bei Redaktionsschluss war Trump noch nicht vereidigt), die Positionen der Biden-Administration durchgesetzt und Israel damit verraten zu haben. In Israel warf der unerwartete Trump-Kurs nach vorherigen, anderslautenden Anti-Hamas-Botschaften viele Fragezeichen auf.

Eine Lesart der Lage besagt, dass Donald Trump sich selbst mit seinen Versprechen, sowohl den Gaza-Konflikt als auch den Ukrainekrieg noch vor seiner Amtszeit befrieden und die Geiseln freigelassen sehen zu wollen, unter starken Zugzwang gebracht habe. In der Zwischenzeit ist das Versprechen bezüglich der Ukraine zeitlich relativiert worden und Israel habe die Gunst der Stunde genutzt, dem Präsidenten einen ersten außenpolitischen Durchbruch zu ermöglichen und damit eine Grundlage für ein positives Verhältnis in seiner zweiten Amtszeit legen zu können. Außerdem würde ein Einlenken Israels noch in der Amtszeit Bidens die Gunst der zunehmend israelkritischen US-Demokraten erhaschen.

Im Gegenzug wird davon ausgegangen, dass Israels Premierminister Benjamin Netanjahu von Trump in geheimen Nebenabsprachen Entgegenkommen auf anderen Gebieten ausgehandelt habe, etwa die Zerstörung des iranischen Atomprogramms betreffend oder die Ausweitung der Abraham-Abkommen auf Saudi-Arabien. Aus Washington gibt es bereits erste deutliche Signale, die die Tolerierung oder Unterstützung der Annexion Judäas und Samarias (Westjordanland) durch Israel zu befürworten scheinen.

All das zusammengenommen könnte eine Erklärung für den derzeitigen Kompromisskurs sein. Kaum jemand geht davon aus, dass die letzten Stufen der Vereinbarung bezüglich des Rückzugs Israels aus dem Gazastreifen überhaupt zur Anwendung kommen werden. Im Wesentlichen geht es zunächst um die Freilassung der Geiseln.

Doron Steinbrecher (r.) umarmt ihre Mutter Simona nach ihrer Freilassung aus der Hamas-Geiselhaft: Foto: IDF (CSI Deutschland)

Zunehmender Druck

Doch solange die Öffentlichkeit nichts Gewisses weiß, dürfte der innenpolitische Druck auf Netanjahu, einen schlechten Deal eingegangen zu sein, nach dem Abklingen der ersten Euphorie steigen. Vor allem, wenn irgendwann nicht mehr lebende, sondern tote Geiseln in Israel eintreffen. Sollten etwa – Gott bewahre – die zwei Bibas-Kinder unter den Toten sein, stünde ein emotionales Inferno bevor.

Die wirksame Selbstinszenierung der Terroristen werden wir in den kommenden Tagen, so der Prozess ungestört weiterläuft, wohl mehrfach zu sehen bekommen. Während die eine Seite über die Befreiung und Rückkehr unbescholtener Geiseln aus mehr als 460 Tagen entmenschlichender Gefangenschaft jubelt, freut sich die andere Seite über die Rückkehr von Mördern und Terroristen. Während sich die eine Seite nach nichts mehr als Frieden und Sicherheit sehnt, schreien selbst die Kinder auf der anderen Seite, sie gehörten zu Mohammad Deif, dem getöteten militärischen Führer der Qassam-Brigaden der Hamas und wären bereit, als Märtyrer zu sterben.

Der Hass lebt weiter. Der 7. Oktober ist noch nicht zu Ende.

Stichworte

Hamas-Geisel