Unabhängigkeitstag: Fackelzeremonie in getrübter Stimmung ehrt Heldenmut
Die Stimmung beim Auftakt zum 76. israelischen Unabhängigkeitstag ist gedämpft. Die Fackelzeremonie widmet sich den Helden vom 7. Oktober.
Normalerweise wechselt die Stimmung von Trauer in Freude, wenn der Gedenktag für Gefallene und Terror-Opfer in den israelischen Unabhängigkeitstag übergeht. Das ist jedes Jahr ein besonderer Augenblick. Doch diesmal blieb die Gemütslage getrübt angesichts des Krieges und der 132 Geiseln im Gazastreifen.
Der Gedenktag Jom HaSikaron endete am Montagabend mit einer Zeremonie, bei der an verschiedenen Stätten des Terrormassakers vom 7. Oktober nacheinander einzelne Fackeln entzündet wurden: In Kibbutzim, am Sikim-Strand, in Sderot oder auch im Moschav Tekuma, wo Wracks von Fahrzeugen aufgeschichtet sind, die bei dem Großangriff der Hamas zerstört wurden.
Die letzte Stätte war Re’im, der Ort des Nova-Festivals. Insgesamt wurden bei drei israelischen Festivals in der Nähe des Gazastreifens 401 Menschen getötet. Die Fackeln beim „Massa HaSikaron“, dem Gedenkfeldzug, entzündeten Menschen, die direkt vom Massaker betroffen sind.
Fackelzeremonie aufgezeichnet
Die offizielle Eröffnungszeremonie für den 76. Unabhängigkeitstag (Jom HaAzma’ut) auf dem Jerusalemer Herzlberg war in diesem Jahr vorab aufgezeichnet worden. Damit wollten die Veranstalter unter der Federführung von Verkehrsministerin Miri Regev (Likud) unliebsame Zwischenrufe verhindern, schreibt die Onlinezeitung „Times of Israel“.
Auch der Modus der Fackelzeremonie war anders als sonst: Insgesamt gab es 44 Anzünder für die zwölf Fackeln, die symoblisch für die zwölf biblischen Stämme Israels stehen. Sonst sind es meist 14. Die Anzünder waren verschiedenen Gruppen zugeordnet, von denen alle einen Bezug zum 7. Oktober hatten. Eine Fackel blieb ohne Anzünder – das sollte an die Geiseln und Vermissten erinnern, ohne die eine solche Zeremonie nicht vollständig sei.
Ruhige Musik
Die Lieder während der Feier waren meist getragen, auch die Texte hatten nichts von der fröhlichen Stimmung früherer Jahre. Das erste Vortragsstück etwa trug den Titel „Ke-sche-amut“ – „Wenn ich sterben werde“. Darin heißt es: „Wenn ich sterben werde, dann wird etwas von mir in dir sterben.“ Eine weitere Textzeile lautet: „Wir alle sind ein einziges lebendes menschliches Geflecht.“
Auf dieses Lied folgte das Gebet „Acheinu“ (Unsere Brüder), das aus dem Mittelalter stammt. Juden sprechen es, wenn sie vor Gott für Entführte und Vermisste eintreten. Ein Symbol, das bei der Gestaltung der Kulissen immer wiederkehrte, war die gelbe Schleife – mit ihr bekunden Menschen ihre Solidarität mit den Geiseln. Auch leere gelbe Stühle waren zu sehen.
Netanjahu und Ochana betonen Bedeutung der Einheit
In einer Videobotschaft sagte Premierminister Benjamin Netanjahu (Likud), vor 76 Jahren sei Israel im Krieg allein und unzureichend bewaffnet gewesen. Und der Feind sei noch da. „Doch heute sind wir stark.“
Er beschwor den „Geist der Generationen“ und versprach: „Wir werden alle Geiseln nach Hause bringen.“ Die Israelis hätten nun die Unabhängigkeit, sich zu verteidigen. Das gehe nur gemeinsam, Schulter an Schulter, mit Soldaten und anderen. Netanjahu sprach von einer „Generation der Sieger“ und fügte hinzu: „Wir alle sind stolze Israelis.“
Knessetsprecher Amir Ochana (Likud) sprach direkt auf dem Herzlberg. Auch er rief die Israelis zur Einheit auf. Gemeinsam ein neues Kapitel zu öffnen, sei schwer, aber möglich. Die Bürger sollten „weniger schreien und mehr zuhören“, auch auf der politischen Ebene. „Jerusalem und Tel Aviv müssen sich treffen“, fasste Ochana seine Botschaft zusammen. Einheit sei für das kleine Volk so notwendig wie die Luft zum Atmen.
Sicherheitsteams machen den Anfang
Die Fackelzeremonie selbst war den Helden und dem Heldenmut gewidmet, „den keiner besiegen kann“, wie es die Moderatoren ausdrückten. Bei der Selbstvorstellung der einzelnen Anzünder flossen mehrmals Tränen – wenn sie Eltern oder Kinder nannten, die bei dem Massaker ermordet worden oder im aktuellen Krieg gefallen waren.
Den Anfang machten Vertreter der Sicherheitsteams, die am 7. Oktober ihre Häuser und Ortschaften gegen die Terroristen verteidigt hatten. Sie widmeten ihre Fackel dem Leben an der durch die Hisbollah gefährdeten Nordgrenze Israels sowie dem Gedenken an Ermordete, für die alle Hilfe zu spät kam. Dabei bekundeten sie die Hoffnung, „dass ein Tag kommen wird, an dem man uns nicht länger benötigen wird“.
Die Fackelanzünder der Sicherheitsdienste traten mehrheitlich mit verhülltem Gesicht und abgekürztem Namen vor die Kameras. Sie widmeten ihre Fackel dem Auslandsgeheimdienst Mossad, dem Inlandsgeheimdienst Schabak und dem Vorrecht, eine Uniform zu tragen. Auch Polizei, Grenzpolizei und Armee wurden hier genannt.
Arabisch-jüdisch-christliche Diplomatie
Die „Fackel der öffentlichen Diplomatie“ entzündeten Menschen, die in den Sozialen Medien um den Ruf des jüdischen Staates kämpfen. Einer von ihnen war der Journalist Joseph Haddad, der sich selbst als „stolzer Araber in einem stolzen Israel“ vorstellte. Zu ihm gesellte sich die jüdische Influencerin Ella Keinan, die den Hashtag „HamasIsISIS“ geprägt hat. Der australische Christ Nathanial Buzolic, der seit dem 7. Oktober bei mehreren Israelbesuchen Solidarität gezeigt hat, schloss sich ihnen an. Die Fackel entzündeten sie für alle, die um die Wahrheit kämpfen – und für das Vorrecht, das Volk Israel zu unterstützen.
Deborah Silverstein aus dem Stadtrat von Chicago und der britische Rabbiner David Meyer vertraten bei der Zeremonie die Diaspora-Juden. Bei ihrer Fackel stand der globale Kampf gegen Antisemitismus im Zentrum.
Freiwillige der israelischen Rettungsdienste widmeten eine weitere Fackel der Bemühung, Menschenleben zu retten. Sie betonten das „Vorrecht, immer als Erste loszustürmen“, und die Heiligkeit des Lebens.
Die Zeremonie nahm auch die Rüstungsindustrie in den Blick. Israelis, die sich um die Entwicklung von Abwehrsystemen wie Arrow und Iron Dome verdient gemacht haben, entzündeten eine Fackel. Diese widmeten sie dem „Leben in diesem guten Land“ sowie den Entwicklern und Ingenieuren.
Mitarbeiter in Krankenhäusern, Rehabilitationseinrichtungen und Rettungsdiensten haben seit dem 7. Oktober zahlreichen an Leib und Seele Verletzte betreut und tun es bis heute. Ihre Fackel widmeten sie unter anderem den Patienten und dem Vorrecht, Leben zu retten.
Ein 96-jähriger Reservist
In all der Trauer und Sorge bemühen sich viele Künstler und andere, Menschen mit Taten, Worten und Musik aufzurichten. Bei der Fackel des „Sieges des Geistes“, die den Künstlern und den Niedergedrückten gewidmet wurde, wirkte auch der 96-jährige Esra Jachin mit. Er ist der älteste aktive Reservist der israelischen Armee. Mit 15 Jahren kämpfte er für die vorstaatliche Untergrundorganisation Lechi, im Unabhängigkeitskrieg wurde er verwundet. Heute gibt er seine Erfahrungen an Militärangehörige weiter.
Viele Israelis wurden am 7. Oktober zu Helden, als sie mit geringfügiger Bewaffnung zu den Orten des Massakers eilten, um zu helfen. Einige dieser Retter entzündeten eine Fackel unter anderem „für Juden und Araber, die zusammen in diesem Land in Frieden leben werden“. Auch „diejenigen, die wir nicht retten konnten“, wurden hier genannt.
Die „Fackel des Gebens“ entzündeten die „Drei Mamas“ – Drusinnen, die Soldaten und Reservisten mit koscheren Mahlzeiten versorgen. Eine von ihnen sagte denn auch liebevoll, die Soldaten seien „wie unsere Kinder“. Sie betonten das „Vorrecht, auf Seite der Gebenden zu sein“.
Für die 132 Geiseln traten drei Frauen auf die Bühne. Eine war Ori Megidisch, die Ende Oktober gerettet wurde und kürzlich wieder in den Armeedienst einstieg. Die Fackel widmeten sie den „heldenhaften Familien“ der Entführten und Vermissten. Sie riefen ihnen zu: „Verliert die Hoffnung nicht!“ Megidisch sagte, sie habe auch in der Dunkelheit gewusst, dass die Soldaten kommen würden, um sie zu retten.
Bei der traditionellen Fahnenzeremonie bildeten Fahnenträger der unterschiedlichen Sicherheitsdienste in einer Choreographie verschiedene Figuren. Dazu gehörten auch ein Gedenkkerze für Getötete und die Schleife, die an die Geiseln erinnert. Am Ende stellten sie die drei hebräischen Wörter „Am Israel Chai“ dar – „das Volk Israel lebt“.
Alternative Veranstaltungen aus Protest
Obwohl die Organisatoren die Auftaktveranstaltung des Nationalfeiertages an die gedrückte Stimmung anpassten, gab es Proteste dagegen, dass überhaupt gefeiert wurde. In Binjamina hielten Angehörige von Geiseln eine „Fackelauslöschungszeremonie“ ab. Bei einer Alternativveranstaltung auf dem Geisel-Platz in Tel Aviv bekundeten etwa 100.000 Israelis ihren Unmut.